Der Garten.
Gravitationszentrum sehnsüchtiger Naturromantik am städtischen Ereignishorizont.
Florierender Setzkasten einer modernen Gesellschaft: Hortensie neben Rhododendron, Liegestuhl auf Rasenfläche unter Zierpfirsich.
Eine sesshafte Gesellschaft, die, des Fernwehes wegen, die Ferne zu sich zwingt und es Zierde nennt.
Das Interface.
Technische Autorität über den Ablauf von Begegnungen digitaler Technologien zwischen ihren eigenen Bestandteilen oder mit ihrer Umwelt. Bestimmt, wer sich wann und wie äußern und was gesagt werden darf. Vom Menschen gemacht, wie auch der Garten, werden jene Interfaces, die sich dem Menschen zuwenden als User Interfaces bezeichnet.
Der Versuch eines gemeinsamen Dreiklangs könnte etwa so aussehen: Garten/Interfaces1 zeigen; verbergen; umhüllen.
1. Garten/Interface zeigt, repräsentiert. Die strenge Landschaftsarchitektur Barocker Schlossgärten inszenierte die vorherrschenden Machtgefüge des 17. Jahrhunderts. In klarer Form und Linienführung verwiesen sie auf die nicht zu hinterfragende Ordnung des Absolutismus2, eine Ordnung Dei gratia. Zu Quadern und Mauern getrimmte Pflanzen erzählten von der Perfektion des göttlichen Willens, der sich seit der Antike in der Harmonie ganzzahliger Verhältnisse und Symmetrien ausdrückte (von Schmiedehämmern bis ins Firmament).
Das grafische Icon zeigt sich und fordert auf: einerseits zur Interaktion mit der eigenen Funktion und somit mit dem Programm; andererseits dazu, mit all jenen Flächen, die nicht als Icons gelesen werden, nicht zu interagieren. Es bietet an und rahmt ein.
Formschnitt und Interfacedesign werden zur praktischen Ästhetisierung unanfechtbarer Ordnungsprinzipien. Sie zeigen was sein kann, doch vor allem, was sein soll.
2. Im Anzeigen der Ordnung verbirgt Garten/Interface jedoch die Bedingung derselben. So zielte eine der frühesten Kritiken am Graphical User Interface (GUI) auf eben jene perspektivische Engführung auf das präsentierende, visuelle Moment: grafische Benutzeroberflächen würden, so die Kritik, das wahre Wesen der Maschine in dessen logischer Komplexität und materieller Extension verbergen. Diesem wähnte man sich über das Löten von Transistoren oder den linearen Schreibakt in der Kommandozeile näher als in der Kontemplation der von US-amerikanischen Konzernen auf dem Screen platzierten Bildchen.
Die blendende Schönheit der gegebenen/gebotenen Ordnung – ob befohlen von Programmiersprachen oder göttlichem Willen – verwehrt den Blick auf die eigenen materiellen Bedingungen und ihre gewaltsamen Praktiken. Der gönnerhafte Terminus der Form-gebung erweist sich im Garten als Bemächtigung der Energie organischen Wachstums bei gleichzeitiger Unterdrückung seiner Eigendynamik. Auch ist der Barocke Formschnitt ars topiaria für die Betrachtung aus der Ferne bestimmt, zerfällt doch beim Annähern an die pflanzlichen Gebilde die Illusion von Perfektion und Symmetrie. Ungleichmäßig rankende Äste. Harzende Schnittenden. Verfärbte Blätter. Unkraut. Käfer. Spinnennetze. Doch so wie die Bauern der absolutistischen Ständegesellschaft den Schlossgarten nie aus solcher Nähe erfuhren, so gelangt heute längst kein unerfahrener Digitalflaneur mehr an die Käfer und Spinnennetze der gängigen Smartphone-Apps.
3. Wie sich der Garten nicht auf den Barocken Schlossgarten reduzieren lässt, umfasst das Interface weit mehr als eine grafische Oberfläche, an der User und Computer hergestellt und kompatibel gemacht werden. Garten/Interface umgibt, umhüllt, ist Raum. Er/s gestattet Bewegung, sich Einlassen und Abwenden. Die imposant geschnittenen Heckengebilde des Barocks kontrollierten ihre Lesart durch Reduktion der räumlichen Immersion auf ein Minimum. Die Freiheit, sich zu verirren, ein lustvolles Erkunden fernab der geraden Pfade lassen weder die starren Mauern aus getrimmtem Buchsbaum, Liguster oder Zypressen zu noch die Icons und Menüs grafischer Benutzeroberflächen.
Interface heute will unaufdringlich sein, verführen, soll von den Gartenwegen in die Wildnis locken wie an heißen Sommertagen die Schmetterlingsjagd den jungen Walter Benjamin. Weniger als ein Verbergen der technischen Komplexität soll das Interface selbst zurücktreten; den Raum so weit öffnen, um im Hintergrund zu verblassen wie die versteckten Grenzmauern der englischen Landschaftsgärten mit dem lautmalerischen Namen Aha, die als »Techniken der Ent-Täuschungen«3 den Blick in die Ferne nicht störten und den Garten dennoch begrenzten. Ähnlich versenkte Richard Wagner das gesamte Orchester seines Festspielhauses in einem Graben »der sinnvollsten Täuschung« und Trennung der »Realität von der Idealität«.4 Der Bayreuther Orchestergraben des Digitalen heißt Sensorik. Sensible Medien erspüren »elektromagnetische Anwesenheit«,5 erspüren Licht, Schall, Wellen, Beschleunigung und werden zu jener »Verschwörung von Wind und Düften, Laub und Sonne«,6 der Benjamin und sein Schmetterlingsnetz ohnmächtig gegenüberstanden. Doch so sehr die sensiblen Technologien glauben machen, die Welt allumfassend in sich aufzunehmen, so sehr sie ihre Mauern und Gräben auch verbergen, sie entkommen ihren eigenen Grenzen nicht, die da liegen in Begriffen wie: Reichweite, Übersetzung, Digitalität, Unverfügbar und vielen mehr. Man fühlt sich erinnert an den jungen Baron Cosimo Piovasco di Rondò, der in einem Roman Italo Calvinos sein Leben auf den Bäumen lebte, und wenngleich er über das Zweigendach des Mittelmeerdorfes Ombrosa an jeden Ort einen Weg fand, so sehr die Distanz zwischen Boden und Baumkrone zu verschwinden schien, so war doch kein Weg derselbe wie der, den er auf dem Erdboden gelaufen wäre.
»Alles hier oben ist mein persönliches Gebiet« – und damit deutete er mit einer unbestimmten Geste auf die Zweige, auf die Blätter, hinter denen die Sonne stand, auf den Himmel. […]
»Ja, wirklich? Und wie weit reicht denn dein Gebiet?«
»So weit, wie man auf den Bäumen gelangen kann.«7
1 Im Folgenden wird sich auf das User Interface bezogen, jedoch bloß vom Interface gesprochen – eine theoretisch illegitime Verkürzung, die in diesem Text aus ästhetischen Gründen dennoch vollzogen wird.
2 Annika Richterich & Gabriele Schabacher: Raum als Interface. Einleitung, in: dies. (Hg.): Raum als Interface, Reihe Massenmedien und Kommunikation (MuK), Band 187/188, Siegen 2011, S. 7.
3 Astrid Zenkert: Der Raum ist die Geschichte. Virtual Reality und der Garten der Empfindsamkeit, in: Felix Lenz & Christine Schramm (Hg.): Von der Idee zum Medium. Resonanzfelder zwischen Aufklärung und Gegenwart, Paderborn 2018, S. 56.
4 Richard Wagner: Gesammelte Schriften und Dichtungen von Richard Wagner, 9. Band, Leipzig: Fritzsch 1873, S. 389 & 401.
5 Daniel Gethmann & Florian Sprenger: Kabel | Raum. Materialität der Medien, in dies. (Hg.): Die Enden des Kabels. Kleine Mediengeschichte der Übertragung, Berlin 2014, S. 104.
6 Walter Benjamin: Berliner Kindheit um 1900, 4. Aufl., Frankfurt am Main 2013 11950, S. 20.
7 Italo Calvino: Der Baron auf den Bäumen. Frankfurt am Main 2013, S. 26.