Das Wort Halluzination ist ein imaginativ besonders aufgeladenes. Vorstellungen über das Halluzinieren sind vielzählig und assoziativ; dabei weichen sie häufig von dem ab, was rein definitorisch festgehalten ist: Trugwahrnehmungen, die nicht durch äußere Reize hervorgerufen werden, aus halluzinierender Perspektive aber nicht von der Realität zu unterscheiden sind.1

Beispielsweise lässt der Begriff der Halluzinationen an psychedelische Impressionen denken, die durch die Einnahme psychotroper Substanzen verursacht werden. Er zählt damit zu den Markern des kollektiven Imaginariums, die an die Entdeckung des Wirkstoffes LSD durch den Chemiker Albert Hofmann oder an die exzessive halluzinogene Forschung des Harvard-Professors Timothy Leary in den 60er-Jahren erinnern. Streng genommen sind allerdings solche psychedelischen Eindrücke als Pseudo-Halluzinationen zu klassifizieren, da ihr Erleben vom Wissen darüber begleitet wird, dass sie hervorgerufen wurden. 

Irgendwo im Assoziationsgewebe rund um das Psychedelische nimmt auch die Nähe des Halluzinierens zum Träumen (das Wort Halluzination leitet sich vom lateinischen Begriff alucinatio für Träumerei ab2) Form an – eine ästhetische beispielsweise. Eine Verwandtschaft beider Phänomene in Bezug auf ihre Repräsentation ist leicht festzustellen, die Google-Software DeepDream macht sie anschaulich. Dem künstlichen neuronalen Netzwerk wird sowohl die Fähigkeit, zu träumen zugeschrieben als auch die Fähigkeit, zu halluzinieren. Es produziert meist farbenprächtige, verschachtelte und fließende Muster. 

Im Zusammenhang mit ästhetischen Ähnlichkeiten verschieben sich die Ebenen der wechselseitigen Zuschreibung menschlicher und Computerprozesse. Im Zeitungsartikel When Robots Hallucinate3 beispielsweise wird von den ästhetischen Gemeinsamkeiten zwischen halluzinatorischen Erlebnissen und den optischen Ergebnissen des künstlichen neuronalen Netzwerks auf eine funktionelle Ähnlichkeit zwischen menschlichem Hirn und künstlicher Intelligenz geschlossen. Dort wird Jeff Clune, ein Computerwissenschaftler der Universität Wyoming zitiert: “The fact that humans report that Google’s Inceptionism looks to them like what they see when they hallucinate on LSD or other drugs suggests that the machinery ‘under the hood’ in our brains is similar in some way to deep neural networks.”4

Das Halluzinieren und das Träumen liegen auch insofern nah beieinander, als dass ihre Vorstellungen von der Möglichkeit des Kontrollverlusts begleitet sind. Beide Phänomene treffen sich zum Beispiel in den Übergängen zwischen Wachen und Schlafen wieder: beim hypnagogen Halluzinieren gehen Einschlafende ins Träumen über, beim hypnopompen tauchen sie daraus auf. Indem diese beiden Zustände als gewöhnliche Charakteristika des gesunden Menschen einsortiert werden, erscheinen sie wie leidige, aber dysfunktional unverdächtige und akzeptierte Vorkommnisse, die etwas auf angebrachte Weise säumen, mit dem ohnehin eine gewisse, allgemein anerkannte, unüberwindbare Hilflosigkeit assoziiert wird.5

Halluzinationen bergen also auch einen tropischen Gehalt, der weg verweist vom Bunten und Hemmungslosen (wobei eine Überschneidung beider nicht ausgeschlossen ist). Ihre Erwähnung lässt an Psychosen denken, wo sie, pathologisch verankert, beispielsweise mit dem Phänomen des Stimmen-Hörens zusammenhängen oder mit dem Charles-Bonnet-Syndrom, das Menschen mit verschlechtertem Sehvermögen ereilen kann und sie Dinge sehen macht, die nicht da sind. In diesem Falls stellt die mit Halluzinationen einhergehende Hilflosigkeit eine ungewöhnliche dar, die zu behandeln ist. Aus psychopathologischer Sicht sind Halluzinationen bedrohliche Störungen neurologischer Art, eine fachspezifische Sichtweise, die medien- und kulturwissenschaftlich problematisiert wird von Lisa Blackman. Das Mitglied der Hearing Voices-Bewegung erforscht, “how it had become possible historically for hearing voices to be predominantly understood as a pseudo-sensory by-product of the brain, to be responded to with neuroleptic drugs and primarily to be ignored by the voice hearer, professionals, family and friends”6.

Für diesen Beitrag ist also zunächst von einer Überlagerung diverser Assoziationen und Einordnungen in Bezug auf das Phänomen der Halluzination auszugehen, wobei zwei Pole besonders deutlich werden: die Sehnsucht, Halluzinationen hervorzurufen und das Bedürfnis, Halluzinationen loszuwerden. Beide Richtungen treffen sich im Vorhaben, Kontrolle über ein Vorkommnis zu erlangen, das als schwer verfügbar gilt. Dieses Spannungsfeld ist in Zeiten der Formalisierung und Computerisierung zusätzlich vom Widerspruch geprägt, etwas derart imaginativ Aufgeladenem mit den Mitteln neurowissenschaftlicher Erklärungsweisen zu begegnen, die Bewusstseinsprozesse als quantifizierbare mentale Vorgänge einordnen. Nach dieser Sicht ist es beispielsweise egal, ob die Eingebungen der Mystikerin Hildegard von Bingen, die auch als göttliche Visionen gelesen wurden, der Wirkung von Muskatnuss oder doch ihren Migräneschüben zuzuschreiben sind, ursächlich verantwortlich gemacht werden in jedem Fall Abläufe im Hirn.

Dieser kurze Vorspann aus nebeneinanderstehenden Versuchen des Greifbarmachens deutet ein Spannungsverhältnis an: Zwischen Rasterung und Flüchtigkeit mäandert das, worauf “Halluzination” verweist und das, was aus lauter Widersprüchlichkeiten heraus angreift. Dieses paradoxe Verhältnis entfaltet sich auf einem diskursiven Feld, das selbst von einer Diskrepanz geformt ist: jener zwischen wissenschaftlichen und journalistischen Darstellungen.

 

“Halluzinationen per Knopfdruck”


Groß ist der Wirbel, der im Jahre 2019 nach der Veröffentlichung eines wissenschaftlichen Papers zu einem neurotechnologischen Experiment am
Bioengineering Department der Universität Stanford durch die Presse geht. Demnach sollte es nun möglich sein, Mäusen Halluzinationen zu implantieren. Why Are These Mice Hallucinating? Scientists Are in Their Heads7 titelt die New York Times, How to Make a Mouse Hallucinate8 suggeriert Scientific American einen neuen Life Hack, Hallucinations Implanted in Mouse Brains Using Light9 liest man auf Nature.com. 

Nicht nur figuriert die Halluzination durch solche Titel als etwas, das aus einem Behälter entnommen wird, in dem es sicher verwahrt war, um in einem operativen Einsatz mit einem lebenden Körper vernäht zu werden. In der Verbindung der Stimmen entsteht gar der Eindruck, die am Experiment beteiligten Mäuse seien für die mit dem Ergebnis des Experiments verbundenen Implikationen letztendlich nicht von Bedeutung: Halluzinationen per Knopfdruck10 fasst Spektrum zusammen, weitere Überschriften sind New Research Reveals Hallucinations Should Be More Common11 von Interesting Engineering oder It’s a Mystery Why We Are Not Constantly Hallucinating, Trippy New Study Suggests12 von Live Science. Das Phänomen Halluzination wird durch seine in Aussicht gestellte Beherrschbarkeit entzaubert, ja schier über Nacht gewöhnlich gemacht.

Das Paper, auf das sich die Zeitungen beziehen, trägt den vergleichsweise unspektakulären Titel Cortical layer–specific critical dynamics triggering perception13. Die Suche nach dem Wort hallucination im Text ergibt einen einzigen Treffer – in einem Satz, der die Weiterentwicklung therapeutischer Anwendungsformen thematisiert, u.a. im Zusammenhang mit “neuropsychiatric symptoms such as those involving hallucinations or delusions.”14 

Auf der einen Seite steht nun eine die Fantasie anregende Möglichkeit implantierbarer Halluzinationen, auf der anderen ein wissenschaftliches Paper zur Beweisführung, in dem zunächst gar kein Beleg für diese Sensation zu finden ist. Was ist zwischen der Unbegreifbarkeit von Halluzinationen und der Ausrufung ihrer technologischen Zähmung passiert? 


Versuch einer Rekonstruktion


Einer der Verfasser*innen des Papers ist der Psychiater und Neurobiologe Karl Deisseroth. Er wird für die darin beschriebene Technologie der Optogenetik maßgeblich verantwortlich gemacht. Optogenetik verknüpft die Lehre vom Licht mit jener der Vererbung und wird auch als „most important thing to have happened to neuroscience in recent times“15 oder „one of the most momentous developments in neuroscience in the past hundred and sixty years”16 beschrieben. Viele Wissenschaflter*innen suchen mittlerweile durch die Linse dieser Technologie nach den Ungereimtheiten des Bewusstseins. 

Die Optogenetik ermöglicht eine sehr präzise Manipulation von Neuronen durch Licht. Spezifische Hirnzellen werden dabei über das Einsetzen von sogenannten Opsinen lichtempfindlich gemacht. Werden dann Lichtblitze über einen Lichtwellenleiter abgegeben, werden die Zellen aktiviert. Opsine sind lichtempfindliche Proteine, die man unter anderem in den Photorezeptoren von Säugetier-Netzhäuten findet. Sie sind auf eine bestimmte Weise maßgeblicher Bestandteil der Erfüllung einer Sehnsucht, die Francis Crick schon Ende der 70er in seinem Paper Thinking About the Brain17 äußert. Hierin malt er eine mögliche zukünftige Methode aus, die der Hirnforschung zu mehr Präzision verhelfen könne. Der Hintergrund ist einer, der bis heute gilt: Das Verfahren der Elektrostimulation zur Erforschung des Bewusstseins ist zwar gängig, aber ungenau. Der durch das Hirngewebe geleitete Strom provoziert Aktivität in Bereichen, die eigentlich gar nicht angezielt wurden. Crick denkt über eine Methode nach, die mehr Treffsicherheit bietet: “For example, a method that would make it possible to inject one neuron with a substance that would then clearly stain all the neurons connected to it, and no others, would be invaluable. So would a method by which all neurons of just one type could be inactivated, leaving the others more or less unaltered.“18 In einem anderen Paper (The Impact of Molecular Biology on Neuroscience16) fügt Crick seiner Idee zwanzig Jahre später unter einer Kapitel-Sektion mit dem Titel “Possible Future Tools” die Spezifik des Lichts hinzu und spekuliert: “This seems rather far-fetched but it is conceivable that molecular biologists could engineer a particular cell type to be sensitive to light in this way.”20

Opsine könnten so ein Future Tool darstellen, von dem Crick träumte. Eine Fahndung nach den lichtempfindlichen Proteinen führt allerdings zunächst weit weg von der Säugetier-Retina zu anderen Orten, an denen sie vorkommen. 


Auf den Spuren der Opsine


„This is very surprising to many people, that our understanding of ourselves as humans and animals actually comes from plants”21, sagt Deisseroth in einem Interview im Sommer 2021. Er erzählt die Geschichte von Andrei Famintsyn, einem russischen Botaniker des 19. Jahrhunderts, der Algen in Süßwasserflüssen erforschte und dabei feststellte, dass die Pflanzen sich in Abhängigkeit vom Licht bewegten. Deisseroth führt fort: „In optogenetics we said: there is a protein that this plant has and it’s encrypted in its DNA. What would happen if we used that code and put it into a neuron or a group of neurons in a mammal? And we saw some cells that responded directly to light. Now we can light them [neurons] up with fiber optics and manipulate the cells that have this algae gene. We can use this in models of psychiatric diseases: anxiety, addictions, high energy states, aggression. But nothing would have been possible without a 19th-century botanist observing algae.“22

Vom Protein dieser Pflanze zu Deisseroths Vorhaben, damit psychische Krankheiten menschlicher Patient*innen zu behandeln, liegt ein verworrener Weg; einer, der hier nicht ansatzweise vollständig abgebildet werden kann und dessen Ausrichtung auf ein ganz bestimmtes Ziel in der Gegenwart Teil seiner retrospektiv aufgerollten Inszenierung ist. Diesen Weg aber säumen Stationen, die sich beim ersten Blick auf das Phänomen implantierbarer Halluzinationen, wie sie die Zeitungsberichte beschreiben, keinesfalls aufdrängen; Algen bilden den Anfang (und, wie gleich festzustellen sein wird, gewissermaßen auch ein vorläufiges Ende).

Der weitere wissenschaftsgeschichtliche Suchverlauf auf den Fährten der Opsine nimmt jedenfalls zunächst eine erneute Abzweigung. Er mündet bei einem mikrobiellen Opsin, das Dieter Oesterhelt in den 70ern in einem Einzeller-Bakterium findet, das in stark salzhaltigen Seen in Ägypten und Kenia überlebt. Das gelingt dem Bakterium nur, indem es Licht in Energie umwandelt. Wie aber sollten nun Gene eines einzelligen Bakteriums im Hirn eines Säugetiers funktionieren – „across billions of years of evolution“?23 Anfang 2002 gelingt es in New York, eine Hirnzelle mit Hilfe des Opsins der Retina einer Fruchtfliege lichtempfindlich zu machen (wir sind bei der Insektenwelt angelangt). Der Durchbruch der Optogenetik aber findet trotzdem bei Algen statt: Eine Gruppe Forscher*innen am Max-Planck-Institut entdeckt ein Opsin, das von einer einzelligen Grünalge stammt, die in Süßwasserflüssen vorkommt. Auch sie bewegt sich lichtgesteuert fort (Phototaxis). Chlamydomonas reinhardtii erscheint durch ihre langen Fortbewegungsgebilde „wie ein kleiner Brustschwimmer24 und besitzt ein Membranprotein, das als Lichtsensor fungiert. 

Die Forscher*innen bauen die Proteine der Alge in Froscheier ein, später in menschliche embryonale Nierenzellen, wo sie dafür sorgen, dass diese Zellen fortan auf blaue Lichtblitze reagieren und das mit einer Schnelligkeit, die mit jener von elektrischen Impulsen im Gehirn vergleichbar ist. 

Diese Algen-Opsine oder genauer: lichtaktivierbaren Ionenkanäle, sog. Channelrhodopsine, die „Nervenzellen aus- und einschalten“25 können, werden nun im Labor von Deisseroth bei jenen Versuchen eingesetzt, die erstmals vollbringen, was nur vage für möglich gehalten wurde: ganz spezifischen Hirnzellen eines lebenden Säugetiers zu Lichtempfindlichkeit zu verhelfen, um sie anschließend mittels Licht von außen stimulieren zu können. Zum Einsatz kommt dabei ein „harmlose[r] Virus als Genfähre“26, um das Gen aus der Alge in kultivierte Hippocampus-Neuronen einzuschleusen. 

Was dann entsteht, ist etwas, das in Deisseroths Paper als „optogenetically evoked percepts“27 beschrieben, in der Presse allerdings als (implantierte) Halluzinationen öffentlich wird. 

Über die Algen, das Bakterium, die Fruchtfliegen-Retina und andere Algen geht die Reihe der Opsin-Quellen nun in eine Reihe derer über, die Opsine eingesetzt bekommen; zunächst sind da die Mäuse. Was passierte bei dem Experiment, das solche Berühmtheit erlangen sollte? 


Das Spiel mit konditionierten Mäusen


Zum Experimentablauf: Den vermeintlich zu spezifischen Halluzinationen verholfenen Mäusen wurden vertikale oder horizontale schwarze Balken auf weißem Hintergrund vorgeführt und die Tiere so konditioniert, dass sie nur an einem Wasserröhrchen leckten, wenn sie den vertikalen Balken sahen. Nachdem die bei diesen Vorgängen entstehende neuronale Aktivität aufgezeichnet wurde, folgte die präzise Stimulation eben jener Nervenzellen, die beim Blick auf die vertikalen Balken aktiv gewesen waren. Die Zellen bekamen das Protein zur Lichtempfindlichkeit eingebaut und wurden mit Lichtblitzen getriggert. Die Mäuse leckten wieder am Wasserröhrchen, als ob sie die vertikalen Balken gesehen hätten. 

Vor dem Hintergrund der technologischen Kontrollierbarkeit von Halluzinationen potenzieren sich Missverhältnisse. Der anfangs festgehaltenen Diskrepanz zwischen dem Reichtum der Assoziationen und der damit verbundenen Unbeherrschbarkeit auf der einen und einer Art Zähmung per Knopfdruck auf der anderen Seite schließen sich neue Unstimmigkeiten an: So ist das, worauf mit Halluzination verwiesen werden soll, am Ende kein surreales Gebilde, sondern die grafische Darstellung eines Balken. Was aber hinter diesen am Ende gleichermaßen farblosen wie gewaltvollen Versuchen an lebenden Tieren steckt, Botanik zum Beispiel, ist unerwartet vielseitig. 


Was kontrolliert werden soll


Karl Deisseroth ist eine in der Fachpresse sehr viel zitierte Figur. Ihn einmal selbst über das Implantieren von Halluzinationen erzählend zu finden, ist schwer – ob das damit zusammenhängt, wie seine Aussagen paraphrasiert werden, oder eher damit, dass er diese Beschreibung nicht nutzt, kann hier nicht beantwortet werden. In einem Interview mit El Pais passiert es aber; Deisseroth erklärt: „We were able to implant a hallucination in a mouse by going into its visual cortex.”28 Es ist ein Gespräch, in dem der Wissenschaftler zu seinem neuen Buch
Projections. A Story of Human Emotions29 befragt wird. Darin bringt er verschiedene Felder in Berührung: jenes der Psychiatrie und seinen Begegnungen mit individuellen Patient*innen-Geschichten mit jenem der Neurobiologie und des Bio-Engineering durch Technologien wie Optogenetics, aber auch die Wissenschaft und die Imagination. Das kreative Schreiben, die Macht der Worte, die Kunst der Poesie habe ihn schon immer beeindruckt: „I was reading literature and poetry long before I became a scientist. I was very interested in how a single word or a phrase in the right context could evoke or stir emotions in a very strong and precise way.”30

Im Zusammenhang mit den Möglichkeiten des optogenetischen Verfahrens ist es nicht allein die experimentelle Präzision, die Verfechter*innen der neuen Technologie löblich hervorheben, auch die damit verbundene Einflusskraft ist von großer Bedeutung: „In the end, the scientists found they could trigger the hallucinations by stimulating as few as two neurons. Thousands of other neurons in the visual cortex would follow the lead of those two cells […].“31 Aus der Manipulation einiger weniger Nervenzellen folgt die Reaktion unzähliger Neuronen und daraus resultiert – aus neurobiologischer Perspektive – Verhalten. Deisseroth wird in einem Zeitungsartikel folgendermaßen zitiert: “It wasn’t clear that this would work for what I really cared about—not just a toy experiment in a dish but actually controlling behavior in a living animal in a way that could teach us about what the brain is really doing.”32 [Hervorh. durch A.S.]

Das “toy experiment in a dish” soll also Implikationen haben, die weit über den Rand der Petrischale herausreichen. Halluzinationen ist offenkundig ein Wort, das Emotionen stark anrührt – insbesondere in Verbindung mit weiteren Worten wie implantieren und lebende Säugetiere, vor allem aber im Kontext einer spielerischen Rahmung. Für Deisseroth scheint dieser Rahmen jedenfalls gegeben: “We could play with a whole ensemble of cells and patterns and see how they affected behavioral choices in mammals“33, sagt er im Interview. Ist das Implantieren von Halluzinationen am Ende nur eine kleine Spielerei, bei der es allerdings am Ende darum geht, Verhalten von Lebewesen zu steuern? 

In einem Meinungsartikel über The Brain Implants That Could Change Humanity 34 schreibt Autor Moises Velasquez-Manoff über Rafael Yuste, einen weiteren Forscher im Bann der Optogenetik: “He likens what he did to implanting an hallucination”. Dann zitiert er Yuste: “We were able to implant into these mice perceptions of things that they hadn’t seen […] We manipulated the mouse like a puppet.”35 

In den Momenten, in denen sich Forscher*innen in Zeitungsartikeln zur Optogenetik äußern, verändert sich etwas im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher und journalistischer Darstellung. Eine seltsame Spiegelung klingt durch, in der sich die anfangs so unterschieden wirkenden Sphären im Feld technowissenschaftlicher Suggestionskraft allmählich anzunähern scheinen. Wo Konzeptualisierungen von Halluzinationen als Phänomen das Wirken einer transzendenten Kraft auf menschliche Individuen vorsahen, sind es im neu eröffneten Möglichkeitsraum der Optogenetik Experimentator*innen, die technologisch präzisierten Einfluss auf Lebewesen nehmen. Dieser Möglichkeitsraum steht in konstitutiver Beziehung mit solchen in den Vordergrund geholten und anderen in den Hintergrund geschobenen Erzählungen. Halluzinationen werden dabei zum Ergebnis beliebig an- und ausschaltbarer Nervenzellen-Aktivitäten und – darauf basierend – Lebewesen zu Spielzeug moduliert.

1 Vgl. Halluzination, in: Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik, dort datiert 2021, URL; Halluzination, in: Dorsch. Lexikon der Psychologie, dort datiert, 11.02.2021, URL; Hubert Kuhs: Halluzination, in: Gunna Wendt, Stefan Jordan (Hg.): Lexikon Psychologie. Hundert Grundbegriffe, Stuttgart 2010.

2 Halluzination, die, in: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, URL.

3 Adrienne LaFrance: When Robots Hallucinate, in: The Atlantic, 3.09.2015, URL.

4 Ebd.

5 Siehe hierzu Jean-Luc Nancy: Vom Schlaf, Zürich-Berlin 2013.

6 Lisa Blackman: Immaterial Bodies. Affect, Embodiment, Mediation, London 2012.

7 Carl Zimmer: Why Are These Mice Hallucinating? Scientists Are in Their Heads, in: The New York Times, 18.07.2019, URL.

8 Karen Weintraub: How to Make a Mouse Hallucinate, in: Scientific American, 19.07.2019, URL.

9 Sara Reardon: Hallucinations Implanted in Mouse Brains Using Light, in: Nature, 18.07.2019, URL.

10 Halluzinationen per Knopfdruck, in: Spektrum, 3.09.2019, URL.

11 Loukia Papadopoulos: New Research Reveals Hallucinations Should Be More Common, in: Interesting Engineering, 20.07.2019, URL.

12 Brandon Specktor: It’s a Mystery Why We Are Not Constantly Hallucinating, Trippy New Study Suggests, in: Live Science, 19.07.2019, URL.

13 James H. Marshel et al.: Cortical layer–specific critical dynamics triggering perception, in: Science, 365(6453), 2019, URL.

14 Ebd., S. 8.

15 Luis Pablo Beauregard: Neuroscientist Karl Deisseroth: ‘Our understanding as human beings and animals comes from plants’, in: El País, 20.08.2021, URL.

16 John Colapinto: Lighting The Brain. Karl Deisseroth and the Optogenetics Breakthrough, in: The New Yorker, 11.05.2015, URL.

17 F.H.C. Crick: Thinking about the Brain, in: Scientific American, Vol. 241, No. 3, 1979, 219–233, DOI: 10.1038/scientificamerican0979-219.

18 Ebd., 222.

19 F.H.C. Crick: The impact of molecular biology on neuroscience, in: The Royal Society, 354(1392), 1999, 2021–2025, DOI: 10.1098/rstb.1999.0541.

20 Ebd., 2024

21 Beauregard 2021

22 Ebd.

23 Zimmer 2019

24 Christina Beck: Einzeller bringen Licht in die Neurobiologie, in: Max-Planck-Gesellschaft, 20.11.2014, URL.

25 Catarina Pietschmann: Moleküle maßgeschneidert, in: Max-Planck-Gesellschaft, 20.11.2014, URL; ein weiteres Beispiel für die Ein- und Ausschalt-Rhetorik: “With new laser technology, scientists have triggered specific hallucinations in mice by switching on a few neurons with beams of light.” (Zimmer: Why Are These Mice Hallucinating?)

26 Beck 2014

27 Marshel et al.: 2019, S. 8

28 Beauregard 2021

29 Carl Deisseroth: Projections. A Story of Human Emotions, New York: 2021

30 Beauregard 2021

31 Zimmer 2019

32 Colapinto 2015

33 Beauregard 2021

34 Moises Velasquez-Manoff: The Brain Implants That Could Change Humanity. Brains are Talking to Computers, and Computers to Brains. Are our Daydreams Safe?, in: The New York Times, 28.08.2020, URL.

35 Ebd.

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